Armenien ist ein Land,
in das Sie sich verlieben werden!

Zeigst du mir die Heimat, in der du noch nie warst, von der du aber ständig träumst, Papa?

Der Vater unserer Autorin ist Armenier. Doch Armenien kennt er nur aus Erzählungen. Von der Reise dorthin erhofft er sich, endlich mal dazuzugehören. Sie will ihre Familie verstehen.

An seinem Lebenstraum beginnt mein Vater zu zweifeln, als er in ein Stück Tomate beißt. Es ist unser erster Abend in Armenien. Wir sitzen in einem Restaurant in der Hauptstadt Jerewan, ein paar Straßen abseits des Zentrums neben einem kleinen Park.

Drinnen schwere Holzmöbel, draußen rote Tische aus Plastik, auf denen Pepsi-Werbung klebt. "Am meisten freue ich mich auf das Essen", hatte mein Vater im Flugzeug gesagt, "auf den Geschmack meiner Kindheit." Wir bestellen "Sommersalat", mit Tomaten, Gurken, Zwiebeln, geriebenen Walnüssen, und dazu Lavash – traditionelles armenisches Brot. Als mein Vater den Salat probiert, verzieht er das Gesicht: "Koriander! Wieso kochen die mit Koriander?" Er sagt das immer wieder und schüttelt den Kopf. Als könne es nicht wahr sein, dass ihm hier in Armenien ein Salat nicht schmeckt. Als entscheide ein Korianderblatt darüber, ob er in diesem Land zu Hause ist.

Mein Vater ruft die Kellnerin. Er will einen Salat ohne Koriander bestellen, doch ihm fällt das Wort nicht ein. Sie wechselt ins Englische, er versucht es weiter auf Armenisch. Schließlich deutet er auf ein Korianderblatt und schüttelt den Kopf. "No hamem?" , fragt die Kellnerin. "Yes! No hamem!" , sagt mein Vater, und seine Gesichtszüge entspannen sich.

Mein Vater ist Armenier. Er ist 58 Jahre alt, ich bin 29 – und wir sind beide zum ersten Mal in Armenien. Bevor ein Großteil der Armenier Anfang des 20. Jahrhunderts ermordet und vertrieben wurde, waren sie im Osmanischen Reich zu Hause; viele auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Jetzt tragen die Städte und Dörfer türkische Namen, und die Mehrheit der rund zehn Millionen Armenier lebt in der Diaspora. In Frankreich, Argentinien, den USA. Mein Vater wurde in Istanbul geboren. Mit 17 folgte er meiner Großmutter nach Deutschland, die dort als Gastarbeiterin eine Stelle in einer Schokoladenfabrik gefunden hatte. Inzwischen lebt er seit 41 Jahren da. Er besitzt einen deutschen Pass, kennt mehr Sprichwörter als manche Muttersprachler, hat deutsche und türkische Freunde. Wirklich zugehörig hat er sich jedoch keinem der beiden Länder je gefühlt.

Ach, Laura, das ist kompliziert

In der Türkei wuchs mein Vater damit auf, dass "Armenier" ein Schimpfwort war. Bis heute erkennt die türkische Regierung den Völkermord nicht an. Als der Deutsche Bundestag ihn im Juni 2016 in einer Resolution verurteilte, gingen Tausende Türken dagegen auf die Straße. Die Geschichte ihrer Vorfahren trennt Armenier und Türken bis heute.

Aber auch in Deutschland fiel mein Vater auf. Weil er türkische Wörter ins Mobiltelefon brüllte, wenn er mit meiner Großmutter telefonierte. Weil er auf dem Flohmarkt knallhart um ein Playmobil-Pony feilschte. Weil er manchmal die Artikel vertauscht. "In der Türkei war ich der Armenier, in Deutschland bin ich der Türke", sagt er. Wie für viele Diaspora-Armenier wurde Armenien, das kleine Land in den kaukasischen Bergen, mit der Zeit für meinen Vater zu einem Sehnsuchtsort. Eine abstrakte Heimat, von der er hoffte, zur Abwechslung einfach mal dazuzugehören.

Sieben Tage lang wollen wir uns Armenien ansehen. Auf dem Hinflug bestellt mein Vater einen Tomatensaft; mir wäre ein Schnaps lieber. Was, wenn er sich in dem Land, von dem er so lange geträumt hat, doch fremd fühlt? Oder – was noch verwirrender wäre: wenn ich mich dort nicht fremd fühle? Kann man ein Land als Heimat empfinden, nur weil man dort Wurzeln hat? Wie gut muss man eine Kultur kennen, um dazuzuzählen? Ich habe meinen Vater zu dieser Reise angestiftet. Aber anders als er habe ich nie von Armenien geträumt. Mein Vater hat alles dafür getan, dass ich mich in Deutschland nicht so heimatlos fühle wie er. Ich habe eine deutsche Mutter, einen deutschen Vornamen, spreche nur ein paar Worte Türkisch und kein Armenisch. Man könnte sogar meinen, er habe mir mit Absicht seine Gene rezessiv vererbt: Mein Vater sieht ein bisschen aus wie ein Pirat, hat dunkle Haut, schwarze Bartstoppeln, eine Glatze und einen Ohrring – meine Haut dagegen ist hell, im Sommer färben sich die Strähnen meiner braunen Haare blond. Und seit ich klein bin, weiß ich, welche Fragen ich meinem Vater nicht stellen darf: Warum sind wir keine Türken, wenn unsere Familie aus Istanbul stammt? Warum bezeichnest du dich als Armenier, wenn du noch nie in dem Land warst? Warum spreche ich weder Türkisch noch Armenisch? "Ach, Laura, das ist kompliziert", sagt er bei solchen Fragen, mit diesem gefauchten "Ach", das keine Diskussion mehr zulässt.

Auch in Jerewan soll ich es bald zu hören bekommen. Am ersten Tag winkt mein Vater ein Taxi herbei und sagt zum Fahrer "Zizernakaberd" – so heißt das Völkermord-Mahnmal. Wir fahren aus Jerewan hinaus, auf ein Plateau mit Blick über die Stadt. Als wir aus dem Taxi steigen, umfängt uns der Geruch von Nadelbäumen. Aus Lautsprechern klingt eine langsame Melodie. Wir betrachten das Mahnmal: Zwölf Steinblöcke formen einen Kreis, in der Mitte brennt eine Flamme, daneben liegen Blumen. Dann will ich das Museum betreten. Doch mein Vater schüttelt den Kopf: "Ach, Laura, ich hab schon genug solcher Bilder gesehen." Er meint die sepiafarbenen Dokumentationen von Kindern in Lumpen, abgemagerten Menschen auf Todesmärschen, zu Bergen gestapelten Leichen. Während ich mir all dieses Leid ansehe und mich frage, was es mit mir zu tun hat, sitzt mein Vater draußen unter einem Walnussbaum, raucht und unterhält sich mit dem Taxifahrer.

Früher habe ich das "Ach" meines Vaters manchmal ignoriert. Habe weitergebohrt, bis seine Gesichtszüge hart und sein Blick abwesend wurde. So habe ich erfahren, dass bis auf meine Urgroßmutter alle aus ihrer Familie ermordet wurden. "Ich wollte nicht, dass du das auch noch mit dir rumschleppst", sagte mein Vater, "jetzt wirst du es nicht mehr los."

"Es gibt zu wenige Verrückte"

Der Völkermord ist mehr als 100 Jahre her, weder mein Vater noch ich waren damals geboren. Trotzdem ist er der Grund für unsere Reise: Mein Vater möchte herausfinden, ob seine armenische Kultur noch mehr zu bieten hat als eine düstere Geschichte. Ich möchte mehr über meinen Vater und unsere Vergangenheit erfahren. Beide hoffen wir, ein Puzzleteil unserer Identität zu finden.

Am ersten Abend schlendern wir durch die Innenstadt von Jerewan, vorbei an Neubauten und traditionellen Häusern aus armenischem Tuff: quadratische Ziegel aus Vulkangestein – beige, rosa, kupferfarben. Im Dämmerlicht färben sie die Innenstadt terracotta-violett. Mein Vater hält immer wieder an, liest den Schriftzug einer Zigarettenreklame, blickt durch ein Fenster in eine Boutique oder Shisha-Bar. "Ich bin jetzt wie ein Schwamm, der alles aufsaugen muss", sagt er. Auf dem Platz neben der Oper bleibt er stehen, vor dem Café Rich, einer Bar mit anthrazitfarbenen Rattansofas, weißen Tischdecken und Flatscreens, in der junge Jerewaner in Hemd oder Nylonbluse Cocktails trinken: "Wow, die Armenier scheinen das Leben zu genießen." Er scheint verwundert, dass die Menschen hier so unbekümmert wirken.

Auch ich bin überrascht – von mir selbst: Ich war schon in Großstädten, die viel beeindruckender waren als Jerewan. Trotzdem kommt mir die armenische Hauptstadt ungewöhnlich schön vor. Darüber freue ich mich, als hätte sie etwas mit mir zu tun. Ich kann nicht einmal die Namen auf den Straßenschildern lesen und habe doch das merkwürdige Gefühl, diese bunten Häuser im Dämmerlicht seien etwas, auf das ich stolz sein könne. "Nur eines stört mich hier", sagt mein Vater: "Es gibt zu wenige Verrückte." Er vermisst Menschen mit Dreadlocks, Irokesenschnitt, zerrissenen Jeans. Leute, die anecken, nicht zur Norm passen. So wie er das nie getan hat.

Unser Apartment in Jerewan liegt gleich um die Ecke vom Platz der Republik, dem Knotenpunkt der Stadt. "Mountain view" stand in der Anzeige – aus dem Fenster soll man bei klarem Himmel die Spitze des Ararat sehen können. Die meisten Armenier sind Christen, und der Ararat ist vielen heilig; die Arche Noah soll auf ihm gestrandet sein. Restaurants sind nach ihm benannt, der teuerste armenische Kognak, und sogar der Blumenverkäufer am Stand vor unserem Hotel heißt Ararat mit Vornamen. Doch der Berg ist auch ein Symbol für die armenische Geschichte: Er liegt auf dem Gebiet der heutigen Türkei, und die Grenze ist geschlossen. Von armenischer Seite soll man ihn am besten beim Kloster Khor Virap sehen können, das anderthalb Stunden von Jerewan entfernt liegt.

Sobald vor unserem Fenster der Berggipfel aus den Wolken auftaucht, wählt mein Vater die Nummer von Arthur, dem Taxifahrer, der uns am ersten Tag zum Völkermord-Mahnmal gefahren hat. Arthur hat keine offizielle Taxi-Plakette, sein Auto ist verbeult, und er spricht kein Wort Englisch. "Aber der kennt sich aus", sagt mein Vater. Arthur ist der einzige Mensch hier, der mich ein wenig an ihn erinnert. Er trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, Turnschuhe und Dreitagebart. Während der Fahrt spielt er CDs mit russischem Hip-Hop, Liebesschnulzen und Musik von Bob Marley. Neben den schicken Hauptstädtern wirkt er wie einer der Verrückten, die mein Vater in Jerewan vermisst. Und wie Arthur arbeitet mein Vater zu Hause als Taxifahrer. Nicht nur eine Sprache oder ein Herkunftsland können Menschen verbinden, denke ich: auch der Beruf, der Musikgeschmack, die politische Haltung; ob man in einem Reichenviertel geboren wurde oder in einem Vorstadtghetto.

"Aghdschik" – "Mädchen"

Wir verlassen die Stadt über eine Autobahnbrücke, vorbei an einer Shoppingmall und Häusern mit Wellblechdach. Nach zwanzig Minuten wird die Straße schmaler. Sie windet sich über grüne Hügel und staubige Sandsteinfelsen ins Tal. In meinen Ohren knistert es. Ich sitze auf der Rückbank, mein Vater plaudert vorne mit Arthur. Er spricht flüssiger Armenisch als am ersten Tag, trotzdem sucht er noch oft nach Worten. "Wozu brauchen die Armenier ein Alphabet mit 39 Buchstaben?", fragt er mich zwischendurch. "26 hätten doch auch gereicht." Er hat seit über 40 Jahren keine längere Unterhaltung auf Armenisch geführt. Mit meiner Großmutter spricht er bis heute türkisch. Außerdem unterscheidet sich der ostarmenische Dialekt, den Arthur spricht, vom westarmenischen, den mein Vater als Kind gelernt hat.

Ich verstehe nur ein Wort, ohne nachfragen zu müssen: "Aghdschik" – "Mädchen". So hat mein Vater mich manchmal gerufen, als ich klein war. Ich spreche viele Sprachen, mit Armenisch habe ich mich aber nie befasst. Manchmal fällt es schwerer, etwas zu lernen, was man eigentlich schon können müsste. Vielleicht ist der Grund, warum mein Vater nie nach Armenien reiste, ein ähnlicher: Es ist nicht leicht, Tourist an einem Ort zu sein, den man Heimat nennt.

Endlich erreichen wir das Kloster, und er liegt vor uns: der Ararat. Ein gigantischer Kegel mit einer schneebedeckten Spitze, die aussieht, als sei ein Stück abgebrochen. "Das ist also unser Berg", sagt mein Vater. Plötzlich sind es nicht mehr "die Armenier", es ist "unser Berg". Mein Vater wird auf dieser Reise noch oft zwischen "die" und "wir" wechseln, manchmal sogar im selben Satz. Als könne er sich nicht ganz entscheiden, ob er sich dazuzählt oder nicht. Auf der Rückfahrt summt er ein Lied. "Was Armenisches?", frage ich. "Lady Gaga", sagt er.

Ein Puzzlestück unserer Identität

In den nächsten Tagen legen wir noch viele Kilometer mit Arthur zurück. Wir besuchen Klöster, von denen manche so tief in den Fels geschlagen wurden, dass sie nach mehr als 1.500 Jahren noch stehen. Sehen auf der Fahrt Verkäufer am Straßenrand, die Maiskolben rösten, Schnaps aus Zylindern anbieten oder Aprikosen, die armenischen Nationalfrüchte. Ohne dass ich fragen muss, beginnt mein Vater von früher zu erzählen – wenn er einen Mann sieht, der seinem Vater ähnelt, oder wenn er sich an ein Wort erinnert, das er vergessen hatte. Auch mir fallen Momente aus meiner Kindheit ein: Sonntage mit Börek und viel zu süßem Schwarztee bei meiner Großmutter. Abende auf dem Sofa, an denen mein Vater mir beibrachte, salzige Sonnenblumenkerne zu knacken wie in der Türkei – mit einem Biss und ohne die Splitter zu verschlucken. Unterbrochen werden unsere Gespräche nur von Arthur, der wie ein Touristenführer vorgibt, was wir tun sollen: An einem Lkw-Parkplatz frisches Bergwasser aus einem Hahn trinken. Ein Foto vor einer kitschigen Statue knipsen. Eine Kerze in der Kirche anzünden. Bei der dritten Fahrt schenkt er meinem Vater Cigarronnes, armenische Zigaretten in silberschwarzem Papier. Bei der vierten bringt er mir eingelegte Walnüsse und Rosenmarmelade mit.

Die fünfte Fahrt ist der Ausflug, auf den mein Vater sich am meisten gefreut hat: zum Sevansee. Nach zwei Stunden auf der Autobahn hält Arthur an einem Parkplatz, gleich neben einem Mann mit einem ausgestopften Bären. Ein paar Meter weiter verkauft ein Händler blau schimmernde Halbedelsteine. Doch mein Vater will sofort zum See. Endlich Wasser. Als Kind war er jeden Sommertag im Bosporus schwimmen. Armenien hat keine Küste. Aber der Sevansee ist fast tausend Quadratkilometer groß. "Wenn das kein Meer ist – es gibt sogar Möwen!", sagt mein Vater, als wir auf einem Steg stehen. "Wäre es nicht so kalt, würde ich in Unterhosen hineinspringen."

Ich dagegen kann den Ausflug nicht genießen. Der See liegt 2.000 Meter über dem Meeresspiegel. Ich mache mir nichts aus Bergen, schon beim Schlittenfahren in Norddeutschland bekomme ich Höhenangst. Jetzt spüre ich, wie mir die Höhe auf die Lunge drückt. Anscheinend bin ich körperlich nicht für einen Bergstaat gemacht, denke ich. Auf einmal fühle ich mich fremd in diesem Land. Und wundere mich, dass mich das stört.

Doch immerhin: Nach einer Woche haben mein Vater und ich eine Art Alltag in Armenien entwickelt. Er steht jeden Morgen um fünf Uhr auf und plaudert mit dem Blumenverkäufer Ararat, der ihm armenische Worte beibringt. Ich schlafe aus. Danach gehen wir in sein Lieblingscafé um die Ecke. Ich trinke einen Mokka, in dem der Kaffeesatz schwimmt, mein Vater einen Americano. Dann unternehmen wir etwas mit Arthur. Abends wollen wir beide immer in das Restaurant vom ersten Abend, unser Stammlokal. Sobald die Kellnerin kommt, flüstere ich: "Hamem". "Koriander" ist eines der wenigen Wörter, die ich mir besser merken kann als mein Vater.

Ach, Laura, grab nicht zu viel rum

Inzwischen weiß ich auch: Ernste Fragen stelle ich am besten nach dem Aufstehen oder abends, wenn es dunkel ist. Und nicht zu viele. So bekomme ich kein einziges Mal in diesen Tagen das gefauchte "Ach" zu hören. Bis zum letzten Morgen: Als mein Vater nach ein paar Fragen das Thema wechseln will, ignoriere ich es. Vielleicht weil es unsere letzten Stunden in Armenien sind. Weil in Deutschland wieder die Zeit für Gespräche fehlen wird. "Ach, Laura, grab nicht zu viel rum", sagt er da. Und später, als seine Gesichtszüge wieder weich sind: "Es ist wie auf einer Party. Ein paar traurige Lieder sind okay, zu viele zerstören die Stimmung."

Bevor wir zurück nach Deutschland fliegen, will ich noch zum "Vernissage"-Markt: Auf einem Platz nahe der Innenstadt verkaufen Händler alles von Hornbrillen bis zu handgemachten Pfeffermühlen und Porträts vom Ararat. An einem Stand mit Silberschmuck bleibe ich stehen. Ich möchte eine Kette mit dem armenischen Anfangsbuchstaben meines Namens als Anhänger. "Du bist ja bald patriotischer als ich", sagt mein Vater und lacht. Als er mir den Anhänger zeigt, muss ich grinsen: Das L ist der einzige Buchstabe, der so ähnlich geschrieben wird wie im Lateinischen. Sogar meine armenische Kette sieht deutsch aus.

Für sich selbst kauft mein Vater nichts. "Das ist doch alles Tingeltangel", sagt er. Doch als er die Kette für mich bezahlt, handelt er nicht wie sonst auf jedem Markt. "Das Geld kommt den Leuten zugute", sagt er. Ich will etwas aus Armenien mitnehmen, mein Vater etwas dalassen. Es äußert sich unterschiedlich, aber bis zum Ende dieser Reise verbindet uns dasselbe Gefühl: Ambivalenz. Zu welcher Kultur gehören wir – und zu wie vielen Teilen? Vielleicht müssen wir akzeptieren, dass es darauf keine Antwort gibt. Mein Vater wird sich vielleicht nie irgendwo vollständig zu Hause fühlen. Ich werde vielleicht nie genau sagen können, was an mir armenisch ist. Doch es ist schön, dass es nun einen Ort gibt, an dem wir Fragen stellen können.

Einen Platz, an dem tatsächlich Puzzlestücke unserer Identität zu finden sind. Wenn mich früher jemand nach meinen armenischen Wurzeln fragte, wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Jetzt habe ich Bilder im Kopf: Tuffsteinhäuser, Arthurs zerbeultes Taxi auf kurvigen Straßen, grüne Hügel, der endlose Sevansee, der schneebedeckte Gipfel des Ararat. Ich hatte gedacht, ich würde meinen Vater auf einer wichtigen Reise begleiten. Doch als wir am Schluss die Koffer packen, fühle ich, dass es umgekehrt genauso war.

Von Laura Cwiertnia (zeit.de)