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Tausende Ziegen in Stein

Tausende Ziegen in SteinDeutsche und armenische Archäologen erforschen im Hochland von Syunik Zeichnungen, die vor rund 4000 Jahren in Felsen gepickt wurden

Wo auch immer Menschen sich aufhalten – manche von ihnen möchten sich dort in irgendeiner Form verewigen. Sie ritzen ihre Namen in Stein oder schneiden Herzchen mit ihren Initialen in die Rinde eines Baumes. So sind auch die Höhlenmalereien in grauer Vorzeit entstanden. Betrachtet man Fotos aus dem Hochland von Syunik im Südosten Armeniens, kommt man allerdings nicht unbedingt auf die Idee, dass in dieser vulkanisch geprägten flachen Landschaft mit ihren großen Steinflächen überhaupt einmal Menschen gelebt haben. Armenien ist bekannt für seine Kirchen und Klöster, doch hier im Hochland schlummert ein weiterer, jahrtausendealter Schatz: ungezählte Felsbilder mit Ziegen, Steinböcken, Rindern, Raubtieren und Menschen – eine steinzeitliche Chronik der frühen Besiedlung dieser Berglandschaft.

Im Jahr 1970 dokumentierte die Nationale Akademie Armeniens hier erstmals die Zeichnungen. Seit 2008 kümmert sich ein britisch-armenisches Team um deren systematische Erfassung. Doch der Reichtum an diesen prähistorischen Artefakten ist so groß, dass Überraschungen immer wieder möglich sind. So entdeckten Archäologen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Armeniens 2011 im Hochland von Syunik oberhalb von 2950 Metern – und damit oberhalb der Baumgrenze – weitere Felszeichnungen. Diesen Bilderschatz galt es zu erfassen und zu dokumentieren, um den Schutz der jahrtausendealten Werke zu gewährleisten.

Die Kooperation der Forschungseinrichtungen basiert auf dem Abkommen über wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Armenien und Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 1998. An der MLU gibt es nicht nur die DAAD-Professur für Armenologie – die einzige in Deutschland –, die Universität kooperiert seit 2010 auch mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Republik Armenien, dem Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie gGmbH Mannheim (CEZA) und dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA). Der Direktor des LDA, Harald Meller, ist gleichzeitig Honorarprofessor für Archäologie Europas an der MLU und leitet die verschiedenen archäologischen Projekte in Armenien von deutscher Seite.

Die Felsbilder sind die bedeutendsten im Kleinen Kaukasus

Die Felsbilder von Syunik gehören zu den bedeutendsten Funden im Kleinen Kaukasus. Von 2012 bis 2014 wurden sie mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes systematisch dokumentiert. Die mittels Picktechnik in den Stein gehauenen Bilder sind nicht zufällig über die Hochebene verstreut, sondern finden sich entlang der im Sommer trockenen Schmelzwasserbäche. Hierhin zog es vor 4000 Jahren Menschen, die auf der Suche nach Wasser für ihr Vieh waren. So sind es vor allem Ziegen und nochmals Ziegen, die auf den Felsen verewigt wurden. Auch der Angriff von Raubkatzen auf einzelne Tiere wurde von den damaligen Bewohnern der Hochebene dokumentiert.

Eine weitere Konzentration von Felsbildern findet sich am Rand von Basaltbrockenhalden, die während der Eiszeit entstanden sind und den wahrscheinlich als Halbnomaden lebenden Menschen einen natürlichen Schutz in der ansonsten flachen Hochebene boten. Die Oberfläche der Steine besteht aus einer dunklen Eisen-Mangan-Kruste, in die man wunderbar mit einem Stein Bilder „picken“ konnte, die dann hell erschienen und einen schönen Kontrast darstellten.

Mit Hilfe von Drohnen und der Vermessung markanter Steine konnten aus einer Flughöhe von 100 Metern zwei Gebiete von je einem Quadratkilometer systematisch fotografiert werden. Am Ende des Surveys von 2012 bis 2014 konnten die Wissenschaftler beider Länder 3500 Felsen mit 11 000 Einzelmotiven dokumentieren. In einer nun aufzubauenden Datenbank werden die Bildmotive im Kontext der Landschaft dokumentiert. So finden sich etwa Jagdszenen an besonders geschützten Stellen. Auf diese Weise wird die weitere Untersuchung von Bildmotiven im Kontext ihrer natürlichen Umgebung Rückschlüsse auf das Leben der Menschen vor rund 4000 Jahren zulassen.

von Rolf Brockschmidt